„Wir müssen uns alle neu erfinden“

Seit 30 Jahren gestaltet Dr. Sabine Haag das Kunsthistorische Museum in Wien maßgeblich mit. WANN & WO erreichte die vielbeschäftigte Generaldirektorin des KHM ­Museumsverbands telefonisch zum Sonntags-Talk.  Bilder: APA

Seit 30 Jahren gestaltet Dr. Sabine Haag das Kunsthistorische Museum in Wien maßgeblich mit. WANN & WO erreichte die vielbeschäftigte Generaldirektorin des KHM ­Museumsverbands telefonisch zum Sonntags-Talk.  Bilder: APA

Die gebürtige Bregenz­erin Dr. Sabine Haag ist Generaldirektorin des KHM Museumsverbands in Wien. W&W sprach mit ihr über den Museumsalltag während der Pandemie, einen optimistischen Blick in die Zukunft und politische Unterstützung für Kultur.

WANN & WO: Frau Dr. Haag: Wir telefonieren quasi von Risikogebiet zu Risikogebiet. Wie beeinflusst das Coronavirus ihren Alltag?

Dr. Sabine Haag: Im Museum war und ist die Coronakrise für uns wirklich schrecklich. Wir waren auf absolutem Erfolgskurs – und wurden am 11. März völlig unverschuldet beinhart auf Null zurückgeworfen. Die Museen mussten schließen, es war klar, dass die Gesundheit der Mitarbeiter und Besucher an erster Stelle stehen. Bis Pfingsten hatten wir geschlossen, der Besucherrückgang lag bei 90 Prozent. Über den Sommer hat es sich allmählich wieder gebessert, aber nun steigen die Infektionszahlen wieder an – das spüren wir nun erneut sehr stark.

WANN & WO: Die getroffenen Gesundheitsvorkehrungen im KHM sind sehr hoch. Aktuell könnte man das Museum ja auf eine unaufgeregte Art erleben, die bislang in dieser Form nicht möglich war?

Dr. Sabine Haag: Das ist richtig. Meiner Meinung nach wäre genau jetzt die richtige Zeit, ein Museum zu besuchen. Es gibt ausreichend Platz, die Sicherheit ist hoch, bei Regenwetter ist es trocken, bei Hitze angenehm temperiert. Außerdem tut es den Menschen einfach gut, sich mit schönen Dingen zu beschäftigen. Vor allem in Zeiten wie diesen, die, ich möchte nicht sagen, von Depression, aber von schwierigen Gedanken, Einschränkungen, drohendem Jobverlust und Ängsten bestimmt sind. Und dabei zu sehen, dass es solch schwere Situationen in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben hat. Man denke nur einmal an die Spanische Grippe, die Pest, die biblischen Plagen. Solche Situationen hat es immer wieder gegeben. Und man hat sich immer wieder „derrappelt“. Die Welt war zwar nie mehr die selbe, wie zuvor, aber es ist – eigentlich immer wieder gut – weitergegangen.

WANN & WO: Sie blicken also zuversichtlich in die Zukunt?

Dr. Sabine Haag: Absolut. Das muss auch sein. Es muss ja auch wieder weitergehen. Wir müssen uns alle ein Stück weit neu erfinden. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn wir in allen Punkten wieder zu dem zurückfinden, wie es vor der Krise war. Denn die Welt hat sich verändert. Aber die Voraussetzungen sind nach wie vor gut. Wir wollen ja alle wieder wachsen, wollen, dass sich was entwickelt, wollen wieder fröhlicher werden, eine Zukunft und Perspektiven sehen. Mir liegen vor allem die Jungen ganz wahnsinnig am Herzen. Für sie ist alles irrsinnig schwierig geworden. Leider muss davon ausgegangen werden, dass die Generation meiner Söhne – sie sind jetzt Anfang 20 – wahrscheinlich die erste sein wird, der es nicht besser geht, als den Eltern. Zudem lebten wir in den vergangenen Jahren auch sehr frei, konnten beruflich und privat die Welt bereisen. Das ist auf Sicht nun nicht mehr möglich.

WANN & WO: Social Distancing, Einschränkungen, wo man hinblickt – wie fällt es Ihnen da leicht, dennoch optimistisch zu bleiben?

Dr. Sabine Haag: Wir müssen bis auf Weiteres konsequent und beinhart diszipliniert sein, was Begegnungen mit anderen angeht. Doch ich denke, dass man in der derzeitigen Situaiton auch merkt, wie wichtig andere Menschen für einen sind und wie wichtig es ist, fürsorglich zu sein. Jeder hat die Möglichkeit, daran mitzuarbeiten, dass die Gesellschaft wieder zusammenwächst und dass gemeinsam an der Zukunft gearbeitet werden kann. Man muss es nur tun. Daraus schöpfe ich meinen Optimismus.

WANN & WO: Der Kunst- und Kulturbereich wurde von der Krise besonders hart getroffen. Wie sehen Sie die politische Unterstzützung des Kulturbereichs?

Dr. Sabine Haag: Für die ganze Szene ist die Situation eine Katastrophe – vor allem für alle Kunst- und Kulturschaffenden, die nicht institutionell abgesichert sind. Wir hatten schon den Eindruck, dass die Politik unseren Bereich über einen langen Zeitraum ganz einfach vergessen hat. Vielleicht waren die Kunst- und Kulturschaffenden aber auch zu lange leise. Österreich hat sich immer als Kulturnation definiert, deshalb sollte dieser Bereich nicht nur dann unterstützt werden, wenn alles gut läuft. Wir sind wichtig für die Wirtschaft, den Tourismus, die Bildung – deshalb wäre es auch wichtig, dass wir nicht nur durch das Kulturressort unterstützt werden, das budgetär primär für den Sektor zuständig ist, sondern dass man es insgesamt als Aufgabe der Republik sieht.

WANN & WO: Heute stehen die Wiener Gemeinde- und Bezirksvertretungswahlen an. Welche ­Hoffnungen oder Wünsche haben Sie dabei?

Dr. Sabine Haag: Ganz unabhängig davon, wie die Wahl ausgeht, wäre mein dringender Wunsch an die Politik eine Bekenntnis zur Wichtigkeit von Kunst und Kultur für Wien und damit einhergehend eine starke Unterstützung unseres Bereichs.

WANN & WO: Abschließend: Was machen Sie als erstes, wenn wieder ein gewisses Maß an Normalität Einzug in unseren Alltag findet?

Dr. Sabine Haag: Privat möchte ich wieder reisen und mir auch wieder mehr Zeit für meine Familie im Ländle nehmen können, vor allem für meinen 88-jährigen Vater. Und im Museum wollen wir den Menschen sagen: Kommen Sie uns besuchen. Nehmen Sie uns in ihren Alltag auf und lassen Sie sich inspirieren. Es wird Ihnen gut tun.

„Wir hatten den Eindruck, dass die Politik den Kunst- und Kulturbereich für einen langen Zeitraum einfach vergessen hat. Vielleicht waren die Kunst- und Kulturschaffenden aber auch einfach zu lange leise.“

Dr. Sabine Haag zur Unterstützung des Kultursektors durch die Politik

Kurz gefragt ...

Zur Person: Dr. Sabine Haag

Alter, Wohnort, Familienstand: 58, geb. in Bregenz, lebt in Wien, verheiratet, drei Söhne

Karriere: Matura Gallusstift Bregenz, Studium der Anglistik, Amerikanistik und Kunstgeschichte in Innsbruck/Wien, ab 1990 Kuratorin in der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums in Wien, ab 2007 Direktorin der Kunstkammer, heute Generaldirektorin KHM Museumsverband; Präsidentin der österreichischen UNESCO-Kommission