„Der Protest im Ländle wird größer“


              Marina vor dem Landhaus Bregenz. Fünf weitere Fragen im Video auf Insta. 
              Fotos: D. Stiplovsek

Marina vor dem Landhaus Bregenz. Fünf weitere Fragen im Video auf Insta. Fotos: D. Stiplovsek

Marina Hagen-Canaval ist das Vorarlberger Gesicht des Klimaaktivismus. Die 26-Jährige klebte sich bereits auf Straßen und an eine Bank vor dem Landhaus, wurde festgenommen – und schließlich von der Politik zum Gespräch eingeladen. WANN & WO sprach mit ihr über Protest, Kritik und demütigenden Polizeigewahrsam.

WANN & WO: Mitte Jänner wurdest du bei einer Aktion in Wien festgenommen. Wie ist das für dich? Schließlich kämpfst du für deine Überzeugung und für die Rettung des Planeten und der Menschheit und wirst dafür bestraft? Was denkst du dann?

Marina Hagen-Canaval: Dass das völlig absurd ist. Ich wurde mit den anderen abgeführt wie eine Schwerverbrecherin, wurde in einen Polizeiwagen gesteckt und ins Polizeianhaltezentrum gebracht. Dort kam ich in eine Sammelzelle, während die BeamtInnen meine Daten aufgenommen haben. Danach kam ich zum Gesundheitscheck und schließlich in eine Umkleidezelle. Dort musste ich mich bis auf die Unterwäsche ausziehen und meine Kleidung wurde gescannt, wie am Flughafen. Und als ob das nicht reichte, kam dann noch eine Polizeibeamtin und sagte: Die Unterhose auch ausziehen. Dabei geht es um den Verdacht auf Waffen – als ob ich in meinem knappen Slip eine Machete hätte verstecken können.

WANN & WO: Das klingt ziemlich demütigend.

Marina Hagen-Canaval: Das ist es auch. Es geht da um pure Herabwürdigung, damit es für uns so unangenehm wie möglich ist. Aber wir sind bereit, das auszuhalten, wenn es sein muss. Wenn es das braucht, dass eine Polizeibeamtin meine Vulva sieht, bitte.

WANN & WO: Du scheinst ziemlich furchtlos zu sein, schließlich
riskierst du so eine Behandlung oder auch eine Anzeige bei jeder Aktion. Wie weit würdest du gehen? Gibt es auch einen Punkt, an dem du sagen würdest: weiter nicht?

Marina Hagen-Canaval: Stimmt, der Aktivismus geht mit hohen persönlichen Konsequenzen einher. Und allein diese Tatsache ist furchtbar. Aber das, was uns die Klimakrise antut – Hungersnöte, Dürrekatastrophen, empfindlich steigende
Preise für Lebensmittel, Ernteausfälle, die jetzt schon bei vier bis zehn Prozent liegen – das ist alles viel schlimmer, als das, was uns die Polizei antun könnte.

WANN & WO: Mitte Dezember habt ihr eine Landtagssitzung gestört und wurdet hinausgeworfen. Die Aufregung war groß und hat gezeigt: Man hört euch – aber man hört euch scheinbar nicht zu, schließlich ist der Kurs der Politik weiterhin nicht so, wie ihr es fordert. Siehst du vor diesem Hintergrund euren Protest als erfolgreich an?

Marina Hagen-Canaval: Das Problem ist ja, dass wir mit allen anderen Sachen nicht gehört wurden. Wir haben ja vorher alles probiert: Demonstrationen, Petitionen und so weiter. Jetzt haben wir diese Aktionsform gewählt, weil sie garantiert, dass man uns nicht mehr ignorieren kann. Und der Erfolg gibt uns insoweit Recht, als dass jetzt politisch über Tempo-limits diskutiert wird – sogar intensiv diskutiert wird. Ebenso über ein Fracking-Verbot. Und nicht zuletzt sind wir darüber in Vorarlberg ins Gespräch mit der Politik gekommen. Diese Landtagssitzung war der Auslöser, dass Neos-Klubobfrau Sabine Scheffknecht uns eingeladen hat.

WANN & WO: Und nicht nur die Neos, auch die Grünen sind
inzwischen mit euch im Gespräch.

Marina Hagen-Canaval: Richtig, mit denen ist sogar bereits ein Folgetermin vereinbart. Wir gehen auch auf die weiteren Parteien zu. Die ÖVP hat uns allerdings noch nicht geantwortet.

WANN & WO: Geht ihr auch auf die FPÖ zu? Schließlich könnten das angesichts deren Ablehnung euch gegenüber nicht gerade die
angenehmsten Gespräche werden.

Marina Hagen-Canaval: Auf die gehen wir auch zu. Immerhin ist das Klima für sie ja eigentlich auch ein relevantes Thema: Wenn sie gegen Migration sind, dann müssten sie die Ersten sein, die das Klima schützen. Die jüngste UN-Studie sagt, dass bis 2030 – also in gerade einmal sieben Jahren – 700 Millionen Menschen in
Afrika ihre Lebensgrundlage aufgrund von Klimaveränderungen verlieren werden. Diese Menschen werden fliehen. Und dass auch nach Mitteleuropa. Wenn man es also wirklich ernst meint, mit dem Ausländerhass, dann muss man das Klima schützen.

WANN & WO: In Städten wie Wien oder auch Berlin ist der Protest der Klimaschützer größer und krasser als in Vorarlberg, etwa wenn praktisch täglich wichtige Straßen blockiert werden. Demgegenüber ist der Protest in Vorarlberg noch vergleichsweise brav. Warum ist das so? Und wird das so bleiben?

Marina Hagen-Canaval: Das bleibt natürlich nicht so. (grinst) Es liegt aktuell daran, dass wir in Vorarl-berg erst mit der Mobilisierung von Aktivisten gestartet haben. Bei Extinction Rebellion melden sich gerade hierzulande wahnsinnig viele Menschen, die uns unterstützen möchten. Ebenso bei der
Letzten Generation. Je mehr Menschen, desto größer können Aktionen werden.

WANN & WO: Das wird nicht allen gefallen: Eure Aktionen polarisieren, viele lehnen sie ab und scheinen sich erst recht nicht für den Klimaschutz einzusetzen. Würdet ihr mit „sanfteren“ Aktionen nicht mehr Menschen überzeugen und so schneller und sicherer eure Ziele erreichen?

Marina Hagen-Canaval: Solche „sanften“ Aktionen wie Demos haben wir ja probiert, aber die haben nichts gebracht. Das, was wir machen, der zivile Ungehorsam, ist ja kein Beliebtheitswettbewerb. Wir machen das ja nicht, damit 51 Prozent der Menschen sagen: Finden wir super, dass ihr euch an die Straße klebt. Das finden wir ja selber nicht super! Es ist im Jänner, wenn es kalt und nass ist, wirklich furchtbar. Ich wäre in meiner Urlaubswoche auch lieber im Bett gelegen und hätte ausgeschlafen. Aber wir machen das trotzdem, solange, bis die Regierung merkt, dass sie jetzt handeln muss. Denn es geht um den Schutz von Lebensgrundlagen, von
Menschenleben.

WANN & WO: Was meinst du, warum reagiert die Regierung bislang nicht und setzt Forderungen von Klima-aktivisten und auch -experten nicht um?

Marina Hagen-Canaval: Ich denke, das hat mehrere Gründe. Zum einen ist es wahnsinnig profitabel, unsere Welt auszubeuten. Da kann man unheimlich viel Geld machen. Zum anderen herrscht bei vielen Menschen immer noch so eine Verleugnung. Sie reden sich ein, dass es ja gar nicht so schlimm sei, dass man das ja alles noch richten könne. Und die Medien und die Regierung tun auch nicht gerade ihr Möglichstes, um die Bevölkerung darüber zu informieren, wie ernst die Situation ist. Aber der Klimawandel ist eine tödliche Bedrohung. Und die muss auch so benannt werden.

WANN & WO: Viele sagen auch: Wir hier in Europa können uns auf den Kopf stellen, solange Asien und Amerika weiterhin auf Klimaschutz pfeifen, werden wir die Welt nicht retten. Was sagst du zu so einer Argumentation?

Marina Hagen-Canaval: China ist unbestritten ein großer CO2-Verursacher. Das ist aber nur die halbe Geschichte. Pro Kopf gerechnet sind wir in Österreich mit etwa 8,5 Tonnen CO2 im Jahr aber schlimmer als die Menschen in China mit 7,2 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Hinzu kommt, dass in China Konsumgüter produziert werden, die dann um die halbe Welt zu uns geschifft werden, damit wir sie verkonsumieren können und hinterher mit dem Finger auf China zeigen können. Wir sind in Solidarhaftung, wir leben alle auf einem Planeten und müssen
zusammenhalten.

WANN & WO: Ihr seid in Gesprächen mit den Neos, mit den Grünen, man diskutiert über Temporeduktionen – es scheint voranzugehen. Schaust du hoffnungsvoll auf 2023?

Marina Hagen-Canaval: Ich habe Hoffnung. Sonst würde ich das alles gar nicht machen. Wir sehen, dass auch das mediale Interesse da ist. Politik und Medien reden mit uns, statt über uns. Aber es sind bisher nur Gespräche. Was wir brauchen, sind Handlungen. Seit 50 Jahren ist klar, was wir tun müssen. Die Akzeptanz in der Gesellschaft ist auch da. Die Politik muss jetzt mutig genug sein, das umzusetzen.

WANN & WO: Abschließend ein kleines Gedankenspiel: Stell dir vor, du könntest drei Maßnahmen für den Klimaschutz sofort und ohne Einsprüche umsetzen. Welche wären das?

Marina Hagen-Canaval: Erstens
Temporeduktion: Tempo 100 auf der Autobahn, Tempo 80 auf Landstraßen, Tempo 30 in Ortsgebieten. Zweitens ein Fracking-Verbot, und das unbedingt weltweit. Und drittens ein Essen-retten-Gesetz: Es muss illegal sein, dass man noch genießbares Essen wegschmeißt, statt es zu spenden.

<p class="caption">Marina wird aus dem Sitzungssaal im Landhaus Bregenz getragen. Fotos: handout/privat</p>

Marina wird aus dem Sitzungssaal im Landhaus Bregenz getragen. Fotos: handout/privat

<p class="caption">Festnahme in Wien.</p>

Festnahme in Wien.

<p class="title">Zur Person: Marina Hagen-Canaval</p><p>Geburtstag, Alter: 27. November 1996, 26 JahreWohnort: Götzis, aus Lustenau</p><p>Ausbildung: Master-Abschluss in Wirtschaftsinformatik der Universitäten Liechtenstein und Würzburg Engagement: Aktivistin bei Extinction Rebellion und Letzte Generation.</p>

Zur Person: Marina Hagen-Canaval

Geburtstag, Alter: 27. November 1996, 26 Jahre
Wohnort: Götzis, aus Lustenau

Ausbildung: Master-Abschluss in Wirtschaftsinformatik der Universitäten Liechtenstein und Würzburg
Engagement: Aktivistin bei Extinction Rebellion und Letzte Generation.

«Ziviler Ungehorsam ist kein Beliebtheitswettbewerb. Wir machen das nicht, damit 51 Prozent sagen: Finden wir super, dass ihr euch an die Straße klebt. Das finden wir ja selber nicht super! (...) Ich würde in meinem Urlaub auch lieber im Bett liegen.» Marina Hagen-Canaval, Klimaaktivistin

«Bei Extinction Rebellion melden sich gerade wahnsinnig viele Menschen hier in Vorarlberg, die uns unterstützen und bei Aktionen mitmachen möchten. Ebenso bei der Letzten Generation. Je mehr Menschen, desto größer werden die Aktionen.»

Marina Hagen-Canaval, Klimaaktivistin