„Der Hut brennt“

«Auf Bundesebene vermurkst die Politik dieses Thema in einem Ausmaß, dass es schon fast an Satire grenzt.»
AK-Vorarlberg-Präsident Bernhard Heinzle zur aktuellen Diskussion über das Thema Mietpreisbremse
„Wir verlieren eventuell eine ganze Generation“, warnt AK-Vorarlberg-Präsident Bernhard Heinzle. Im Talk mit W&W spricht der 47-Jährige über langsame politische Entscheidungen, Angst um den sozialen Frieden in Vorarlberg und seine Sorge vor einem Ländle der Reichen und Schönen.
WANN & WO: Herr Heinzle: Das Leben im Ländle wird teurer und teurer – vor allem die Wohnthematik bereitet vielen Menschen Sorgen. Wie sehen Sie das?
Bernhard Heinzle: Dass Wohnen in Vorarlberg sehr teuer ist, ist grundsätzlich klar. Das war immer schon so. Der gemeinnützige Wohnbau im Land hat aber in den vergangenen Jahren extrem nachgelassen. Prozentual hinken wir im Vergleich zu Restösterreich weit hinterher. Wir fordern deshalb, dass der soziale Wohnbau in den nächsten zehn Jahren jährlich 1000 neue Wohnungen errichtet. Die letzten zwölf Jahre waren nur 13 Prozent aller Wohnungen aus dem gemeinnützigen Wohnbau, der Bedarf an Wohnungen ist aber wesentlich höher. Somit bauen eben private Bauträger. Hier sind die Preise aber in eine Höhe geschnellt, dass die heutige Jugend – und ich gehe hier speziell auf die Jungen ein – gar keine Chance mehr hat, Eigentum zu erwerben. Da nimmt man einer ganzen Generation die Hoffnung auf Eigentum – und dadurch verlieren wir eventuell sogar eine ganze Generation.
WANN & WO: Diese Entwicklung hat sich aber ja abgezeichnet. Rainer Keckeis, noch bis 30. Juni Direktor der AK Vorarlberg, sagte unlängst im Interview mit W&W: Um die Situation zu entschärfen, bräuchte es nur den politischen Willen. Sehen Sie diesen gegeben?
Bernhard Heinzle: Die Politik erkennt jetzt das Problem. Das hat aber sehr lange gebraucht. Die Wirtschaft hat es ebenfalls erkannt. Viele Mitarbeiter haben keine Lust mehr, Überstunden zu machen. Sie erkennen keinen Sinn mehr darin. Denn viele stellen sich die Frage, was sie mit dem Geld machen sollen, wenn sie es nicht einmal mehr schaffen, die Eigenmittel für Eigentum anzuschaffen. Die Politik hat auch erkannt, dass der Frust in der Bevölkerung immer größer wird. Wenn ich über 40 Prozent des Einkommens alleine dafür aufbringen muss, meine Miete zu bezahlen und dann auch noch die Betriebskosten dazukommen, geht sich das einfach nicht mehr aus. Wie gesagt: Sie nehmen das Problem wahr. Aber das Tempo, um Ideen wie eine Mietpreisbremse oder die Förderung des sozialen Wohnbaus umzusetzen, ist unvorstellbar langsam.
WANN & WO: Stichwort Mietpreisbremse: Wie sehen Sie die aktuelle Diskussion rund um dieses Thema?
Bernhard Heinzle: Auf Bundesebene vermurkst die Politik dieses Thema in einem Ausmaß, dass es schon fast an Satire grenzt. Wenn aber nun im April oder Mai die Mieten um bis zu zehn Prozent steigen, ist die Frage, wie sich die MieterInnen das noch leisten können. Da habe ich tatsächlich Angst um den sozialen Frieden in Vorarlberg. Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Und wenn ich das nicht mehr habe, kann es durchaus passieren, dass die Lage irgendwann eskaliert. Das Ganze erinnert mich an einen Schnellkochtopf. Wir Vorarlberger sind ja leidensfähige Wesen. Mir scheint aber, dass das Druckventil am Topf schon leicht zu pfeifen beginnt. Und ich fürchte, dass sich das irgendwann nicht mehr ausgeht und die Leute auf die Straße gehen. Das will ich nicht. Ich will ein gutes Leben für alle im Land. Da gehört das Grundbedürfnis Wohnen dazu.
WANN & WO: Kürzlich führte meine Kollegin Anja Förtsch ein Interview mit der designierten AK-Direktorin Eva King. Darin hieß es, dass seitens der AK aktuell erhoben wird, wer im Land die Böden zusammenkauft. Gibt es dazu schon neue Erkenntnisse?
Bernhard Heinzle: Die Studie dazu wird in den kommenden Wochen veröffentlicht, bis dato kenne ich die Ergebnisse aber noch nicht. Es geht dabei auch nicht darum, herauszufiltern: Wem gehört Vorarlberg? Sondern der Punkt ist: Ein paar wenige kaufen die Grundstücke im Land zusammen. Dadurch haben Private gar keine Chance mehr, diese zu erwerben bzw. zu bebauen. Deshalb fordern wir auch einen Spekulationsstopp. Prinzipiell verstehe ich das Denken ja. Man sagt: Wir haben Geld, was machen wir nun damit? Am besten legt man es in – wie man in Vorarlberg so schön sagt – „Betongold“ an. Dagegen sprechen wir uns aber ganz klar aus. Das muss ein Ende haben.
WANN & WO: Eine vielleicht etwas provokante Frage im Hinblick auf die Entwicklungen in Vorarlberg: Wird das Ländle nach und nach immer mehr zum Ländle der Reichen und Schönen?
Bernhard Heinzle: (Überlegt ein paar Sekunden) Ja. Zurzeit habe ich schon die Sorge, dass wir eine gewisse Klientel im Land verlieren. Ich kenne viele junge Menschen, die sagen: In Vorarlberg habe ich keine Chance mehr. Ich hätte die Möglichkeit auf einen Arbeitsplatz, aber nicht die Chance, mich hier zu entwickeln. Und somit ziehen sie dann in ein ländliches Gebiet, etwa die Steiermark, ins Burgenland, oder nach Niederösterreich, um sich dort ihren Wohntraum zu erfüllen. Damit gehen aber auch gute Leute, die wir unbedingt brauchen. Denn wenn wir uns in Vorarlberg entwickeln möchten, wäre es wichtig, dass sie bleiben. Aber es stimmt, was Sie sagen. Diese Sorge habe ich tatsächlich auch.
WANN & WO: Um noch einmal auf die Politik im Land zurückzukommen: Hat sie diese Entwicklung im Land aber nicht erst möglich gemacht?
Bernhard Heinzle: Meine Wahrnehmung ist es, dass die Politik vor lauter Angst, nicht mehr gewählt zu werden und sich permanent auf Umfragen stützen zu müssen, keine Entscheidungen mehr fällt.
WANN & WO: Der Blick auf die nächste Wahl darf aber nicht der Grund sein, den Status Quo beizubehalten.
Bernhard Heinzle: Das ist richtig. Darum wünsche ich mir – und das tue ich vom Landeshauptmann abwärts kund: Wir benötigen schnellere Entscheidungen. Dass man sich beispielsweise mit dem Bodenfonds beschäftigt, ist ja ganz nett. Ich hätte aber gerne in einem halben Jahr eine Lösung. Es heißt, das sei technisch nicht umsetzbar. Aber wenn der Hut brennt, ist vieles möglich. Das haben wir gelernt. Und der Hut brennt in Vorarlberg. Das höre ich jeden Tag von den Menschen, die hier leben. Und es schwingt dabei viel Hoffnungslosigkeit und Resignation mit. Das alles macht mich schon sehr nachdenklich.

Zur Person: Bernhard Heinzle
Alter, Wohnort, Familie: 47, Altenstadt, Vater zweier Töchter
Werdegang: Gelernter Werkzeugmaschineur, Sozialakademie der Bundesarbeiterkammer, 22 Jahre lang Gewerkschaft GPA, ab 2006 Geschäftsführer GPA Vorarlberg, ab 2015 Mitglied der Bundesgeschäftsführung der Gewerkschaft GPA in Österreich, seit November 2022 Präsident AK Vorarlberg
Hobbys: Kraftsport, Skifahren, Zeit mit den Kindern verbringen, Rad- und Motorsport

