„Straße gehört uns allen!“

Klimakrise, Inflation, Gesundheit: Dass wir alle öfter das Auto stehen lassen sollten, ist klar. Aber was hält uns davon ab und was könnte uns dabei helfen? W&W bat eine Auto- und eine Radfahrerin zum Doppel-Interview. Das zeigte Unterschiede – aber auch Gemeinsamkeiten.

WANN & WO: Wie ist eure Situation in Sachen Mobilität: Wofür nutzt ihr das Rad, wofür das Auto und was von beidem mehr?

Aline Pavlik: Ich bin Mama von drei Kindern, eine Sechsjährige und zwei vierjährige Zwillinge. Ich wohne und arbeite in Lustenau. In der Zeit übernehmen die Großeltern unsere Kinder, was natürlich super ist. Aber das ist ein Grund, warum ich auf das Auto angewiesen bin: Die einen wohnen zwar in Lustenau, die anderen aber in Dornbirn und Höchst. Noch dazu der Wocheneinkauf für eine fünfköpfige Familie. Ich bin zwar stolze Besitzerin eines Lastenrades, aber alles ist auch damit nicht möglich. Dabei würde ich gern viel mehr das Rad nutzen. Innerorts bin ich auch sehr viel mit dem Rad unterwegs. Aber in meinem Alltag gibt es viele Situationen, die ohne Auto nicht gehen. Und da fühle ich mich hin und wieder schon als
Klimasünderin abgestempelt, gerade von Jüngeren, die meine Situa-tion als Mama gar nicht nachempfinden können.

Veronika Rüdisser: Ich engagiere mich bei der Radlobby Vorarlberg, aber besitze und fahre auch ein Auto. Es ist einfach schwierig, so ganz ohne Auto auszukommen. Meine Wege lege ich vorrangig mit dem Rad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß zurück. Aber es gibt einfach Situationen, da funktioniert das praktisch nicht. Wenn ich meine Freundin in Lustenau besuchen will, brauche ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln etwa eine Stunde dafür. Da setze auch ich mich lieber ins Auto und fahre nur 20 Minuten. Oder wenn ich mehrere Termine habe, das Wetter schlecht ist und ich nicht nass und dreckig ankommen will. Insgesamt nutze ich aber klar am meisten das Fahrrad.

WANN & WO: Dann kennst du die Situation der Radfahrer in Vorarl-berg aus erster Hand. Wo liegen hier Probleme im Radverkehr, die
Menschen vom Umstieg abhalten?

Veronika Rüdisser: In Österreich werden 20 Prozent aller Wege, die kürzer als 2,5 Kilometer sind, mit dem Auto zurückgelegt – genau da dürfen viele umdenken, denn diese Distanz ist problemlos per Rad, Öffis oder zu Fuß zu bewältigen. Dementsprechend darf man das Autofahren nicht zu leicht machen: Wenn das Auto das billigste und das schnellste Verkehrsmittel ist, wird kaum jemand umsteigen. Neben der Bequemlichkeit ist es vor allem aber die Sicherheit, die viele vom Radfahren abhält. Klar, wenn ich meine Schleichwege kenne, dann fühle ich mich sicherer. Aber es ist einfach nicht das Gleiche wie mit dem Auto, wo ich mich reinsetze und ungeachtet der Umstände drauflos fahre, ohne Sorge haben zu müssen, dass mir etwas passiert oder dass ich mich verfahre. In Vorarlberg gibt es so viele Wege, auf denen ich mit dem Rad über eine gefährliche Kreuzung fahren oder auf schmalen Rad-streifen über herausstehende Kanal-deckel rattern müsste. Die konkurrenzfähige, sichere und durchgehende Radinfrastruktur fehlt.

Aline Pavlik: Da stimme ich zu. Gerade auch, wenn man mit kleinen Kindern fahren und ihnen das selbständige Radeln beibringen möchte: Da muss man wirklich nach geeigneten, sicheren Straßen suchen. In Lustenau ist es ein bisschen paradox: Dort werden Straßen verschmälert, um den Verkehr zu entschleunigen und für Radler angenehmer zu machen. Ich habe aber den Eindruck, dass bei vielen Autofahrern dadurch der Frust steigt und so riskante Überholmanöver provoziert werden. Dadurch ist man als Radler ständig der Prellbock. Ich bin ja mal Radlerin, mal Autofahrerin und aus Sicht von Letzterer muss ich sagen, dass viele Radler aggressiv fahren und gefährliche Situationen provozieren. Und wenn die Autofahrer durchgängig nur 20 Stundenkilometer fahren dürfen, erzeugt auch das eine aggressivere Fahrweise.

Veronika Rüdisser: Wobei ich glaube, dass wir uns an diese Geschwindig-keiten innerorts gewöhnen müssen. Wir haben ja über Jahrzehnte „gelernt“ 50 Stundenkilometer zu fahren. Da fällt es oft noch schwer, sich umzugewöhnen. Aber auch ich kenne das Gefühl, hinter einem Radler herzuckeln zu müssen und nicht überholen zu können.

Aline Pavlik: Mich hat kürzlich ein E-Biker in der 20er-Zone mit Tempo 25 überholt, als ich mit dem Auto fuhr. Das ist nicht nur rechtswidrig, sondern auch rücksichtsloses Verhalten vonseiten der Radler. Gerade in den Begegnungszonen meinen jetzt viele, im Recht zu sein und tun zu können, was sie wollen – mit oft gefährlichen Folgen, für die Autofahrer und die Radler selbst.

WANN & WO: Nehmt ihr dieses „Kampf-Fahren“ und Gegeneinander auf der Straße sehr häufig wahr? Und geht es so weit, dass es euch auch vom Radfahren abhält?

Aline Pavlik: Das nehme ich durchaus wahr, aber von beiden Seiten: sowohl von Radlern, als auch von Autofahrern. Als Radlerin merke ich vor allem, dass der Abstand oft nicht eingehalten wird, selbst wenn man mit Kiki unterwegs ist.

Veronika Rüdisser: Wir haben gerade bei einem Citizen Science Projekt für zwölf Monate Überholabstände in Vorarlberg gemessen. Dabei zeigte sich, dass nur ein Drittel der Kfz-Lenker beim Überholen einen Abstand von anderthalb Metern einhält. Gesetzlich ist mittlerweile ein Mindestabstand von anderthalb Metern inner- und zwei Metern außerorts vorgeschrieben. Hier braucht es dringend Bewusstseinsbildung. Natürlich gibt es beides: die „Kampf-Radler“, die meinen, sie könnten einen Lkw ausbremsen und die „Kampf-Autofahrer“, die mit 100 Stundenkilometern durch den Ort brettern. Das sind aber die allerwenigsten. Ich glaube auch, dass viel Fehlverhalten von Radfahrern provoziert wird – etwa wenn der Gehsteig aufhört und ich auf der Tempo-50-Straße weiterfahren müsste, auf der auch noch massig Autos und Lkws an mir vorbeirauschen. Dann fahre ich zu meiner eigenen Sicherheit lieber auf dem Gehsteig, obwohl ich nicht darf. Ich will es damit nicht entschuldigen, aber das sind verkehrsplanerische Fehlleistungen. Wirklich bedroht fühle ich mich aber nur als Radlerin, nicht als Autofahrerin.

Aline Pavlik: Ich bin mit den Kindern viel zu Fuß unterwegs und muss sagen, dass auch Radler gegenüber Passanten aggressiv sein können. Ein Beispiel ist der Alte Rhein. Dort muss man als Fußgänger den Radweg kreuzen, damit man zur Badewiese kommt. An der Stelle fahren die Radler teils ohne Rücksicht und weit über Schrittgeschwindigkeit.

Veronika Rüdisser: Ich habe mich mal mit einem Mann unterhalten, als in Bregenz die Begegnungs-zone in der Innenstadt eingerichtet
wurde, die Autos aber dort noch fahren durften. Der meinte damals zu mir, er schaue dort jetzt gar nicht mehr und nehme keine Rücksicht, weil er ja jetzt alles dürfe. Das geht natürlich nicht. Aber oft hat man als Radler eh das Gefühl, dass man es nicht richtig machen kann: Klingelt man beispielsweise, regen sich die Fußgänger auf, weil sie erschrecken, klingelt man nicht und fährt langsam vorbei, regen sie sich auf, weil man nicht geklingelt hat.

WANN & WO: Das Gegeneinander auf der Straße scheint ein großes Thema zu sein. Oft hat man auch das Gefühl von „alle gegen alle“: Autos gegen Radler, Radler gegen Fußgänger, Radler gegen andere Radler …

Aline Pavlik: E-Scooter hast du
vergessen! (lacht)

WANN & WO: Ja, die kommen auch noch dazu. Ist dieses Gegeneinander also vielleicht das größte Probleme und die Ursache aller weiteren? Und wie lässt sich das lösen?

Aline Pavlik: Es bräuchte einfach Verständnis füreinander. Oft ist es auch der Zeitstress, der die gegenseitige Rücksicht schmälert. Aber das ist in unserer heutigen Gesellschaft ja praktisch nicht zu ändern.

Veronika Rüdisser: Ich meine, gute Verkehrsplanung könnte da schon helfen. Als Radfahrer steht man immer in der Mitte, es gibt ja in Vorarlberg kaum reine Radwege. Damit „stört“ man entweder auf der Straße die Autofahrer oder auf dem Geh-/Radweg die Fußgänger. Da muss die Infrastruktur angepasst werden. Und darüber hinaus muss man gedanklich hin zu dem Prinzip „der Schnellere gibt Acht auf den Langsamen“. Nicht zuletzt muss man auch diszipliniert sagen: Wenn ich autofahre, fahre ich Auto, wenn ich radfahre, fahre ich Rad – und bin nicht noch nebenher am Handy oder tue sonst was.

WANN & WO: Dabei hat der Gesetz-geber bereits reagiert: Der vorgeschriebene Mindestabstand beim Überholen wurde vergrößert, neuer-dings dürfen Eltern neben ihren Kindern radeln. Reicht das nicht?

Veronika Rüdisser: Leider nicht, weil viele nicht von diesen Neuerungen wissen. Die neuen Regeln müssen bekannt gemacht werden. Wenn ich neben meinen Kindern herradle, zeigen mir viele Autofahrer tatsächlich den Vogel. Sie wissen nicht, dass ich das gesetzlich darf. Dieses Recht nehme ich mir. Man hat die vergangenen 60, 70 Jahre die Straßen praktisch nur für die Autos gebaut. Deren Lenker meinen jetzt natürlich, dass ihnen alles gehört. Aber tatsächlich gehört es uns allen und der Verkehrsraum muss wieder in Richtung Radler und Fußgänger umverteilt werden.

<p class="title">Zur Person: Veronika Rüdisser</p><p>Alter: 41 Jahre</p><p>Wohnort: Kennelbach Mobilitäts-Situation: Besitzt und fährt ein Auto, bestreitet den Großteil der Alltagswege aber mit dem Fahrrad.Ist Sprecherin der Radlobby Vorarlberg.</p>

Zur Person: Veronika Rüdisser

Alter: 41 Jahre

Wohnort: Kennelbach
Mobilitäts-Situation: Besitzt und fährt ein Auto, bestreitet den Großteil der Alltagswege aber mit dem Fahrrad.
Ist Sprecherin der Radlobby Vorarlberg.

<p class="title">Zur Person: Aline Pavlik</p><p>Alter: 36 Jahre</p><p>Wohnort: Lustenau Zugang zur Kirche: Erledigt als Mama dreier kleiner Kinder einen großen Teil der Alltagswege mit dem Auto, nutzt das Rad aber so oft sie kann..</p>

Zur Person: Aline Pavlik

Alter: 36 Jahre

Wohnort: Lustenau
Zugang zur Kirche: Erledigt als Mama dreier kleiner Kinder einen großen Teil der Alltagswege mit dem Auto, nutzt das Rad aber so oft sie kann..

«In meinem Alltag gibt es viele Situationen, die ohne Auto nicht gehen. Da fühle ich mich als Klimasünderin abgestempelt, vor allem von Jüngeren, die meine Situation als Mama gar nicht nachempfinden können .» Aline Pavlik

«Wenn Autos durch-gängig nur 20 Stundenkilometer fahren dürfen, erzeugt auch das eine aggressive Fahrweise.» «Wir müssen uns aber an diese Geschwindigkeiten gewöhnen.» «Mich hat schon ein E-Biker in der 20er-Zone mit Tempo 25 überholt.»

«Man hat die vergangenen 60, 70 Jahre Straßen für die Autos gebaut. Deren Lenker meinen jetzt, dass ihnen alles gehört. Aber es gehört uns allen.» Veronika Rüdisser