„Go vegan“ oder „Fleisch ist mein Gemüse“?

Kann man noch mit gutem Gewissen Fleisch essen? Oder muss jeder Veganer werden? Und wer entscheidet das überhaupt? Kaum etwas ist so persönlich, wie die Ernährung. Und doch wird sie immer mehr zum Politikum. WANN &WO hat eine Veganerin und einen Metzger an einen Tisch gebracht, zur Diskussion gebeten – und einen gemeinsamen Feind ausgemacht.

WANN & WO: Ann-Kathrin, du bist Veganerin. Wie lange schon und wie kam es dazu?

Ann-Kathrin Freude: Ich habe Tiere immer schon sehr gern gehabt und bin auch mit ihnen aufgewachsen. Als ich etwa 16 Jahre alt war, habe ich keinen Unterschied mehr zwischen meiner geliebten Katze und beispielsweise einem Huhn gemacht. Das bedeutete für mich, dass ich entweder alle Tiere essen müsste oder gar keine. Auf einer Frankreich-Reise habe ich dann tatsächlich alles gegessen, was aufgetischt wurde: Froschschenkel, Taube … Das war für mich in dem Moment okay, aber danach hat es mich so beschäftigt, dass ich erst einmal Vegetarierin wurde. Mit 26 bin ich aber drauf gekommen, dass auch wenn ich „nur“ Eier und Milch esse, männliche Hühner sterben und Legehennen sowie Milchkühe ein schlechtes Leben haben. Das alles wurde mir plötzlich bewusst und da war für mich klar: Das kann ich nicht verantworten, jetzt muss ich vegan werden. Obwohl ich Veganer bis dahin viel zu extrem fand. (lacht)

WANN & WO: Jogi, bei dir ist es anders: Du isst Fleisch und du stellst auch selbst Fleisch her, du bist Metzger. Wie bist du zu dem Beruf gekommen?

Jogi Fleisch: Ich bin eigentlich ge-lernter Elektriker und Anlagen-installateur. Ich bin aber persönlich auch ein sehr kreativer Mensch. Im Beruf als Installateur kann man diese Kreativität aber natürlich nicht wirklich ausleben. Darum habe ich nebenberuflich immer etwas gesucht, wo ich das kann. Das war zum einen die Musik und zum anderen das Kochen. Durch das Kochen bin ich dann immer stärker zum Thema Fleisch gekommen. Ich liebe Fleisch. Für mich ist ein gutes Stück Fleisch der höchste Genuss. So bin ich vom Kochen zum Grillen gekommen und daraufhin auch immer mehr zu den Themen Fleisch, Fleischzubereitung, Fleischherkunft, Fleischreifung. Vor etwa zehn Jahren wurde das auch medial immer größer, mit eigenen Zeitschriften dazu. Es wurde hipper. Aber nicht bei den Metzgern hier bei uns in Vorarlberg. Also habe ich selbst damit angefangen, anfangs als Hobby. Freunde, die es bei mir probierten, waren begeistert und so dachte ich mir: Da steckt ein Geschäft dahinter.

WANN & WO: Und hattest du dabei nie mitleidige Gedanken an die Tiere, so wie Ann-Kathrin sie vorher beschrieben hat?

Jogi Fleisch: Doch, tatsächlich. Da ich anfangs wenig Ahnung von allem hatte, bin ich ganz naiv zu den Bauern gegangen und habe mir angeschaut, woher das Rindfleisch kommt. So bin ich darauf gekommen, wie es hier bei den kleinen Bauern im Bregenzerwald läuft und wie bei den großen Industrie-
produzenten. Und auch im Wald ist es nicht leicht, Fleisch zu bekommen, das sowohl regional, bio-zertifiziert als auch ökologisch korrekt ist. Da gab es nur ganz, ganz wenige Bauern, die das damals schon so gemacht haben und mit denen habe ich schließlich auch angefangen, zusammenzuarbeiten. Das Fleisch, dass die große Industrie erzeugt, konsumiere ich seit Jahren nicht mehr und das könnte ich auch nicht vertreten.

WANN & WO: Abgepackte Massenwurst für zwei Euro wird man bei dir also nie finden?

Jogi Fleisch: Richtig. Da ist es auch egal, ob es ein Huhn, Lamm, ein Rind oder ein Schwein ist. Generell diese ganzen verarbeiteten Produkte – da weiß man gar nicht, was alles drin ist und woher es mal kam. Da bin ich „straight“, das gibt es bei mir nicht.

WANN & WO: Wie ist das bei dir, Ann-Kathrin? Als Veganerin verzichtest du schließlich auf noch mehr. Und oft enthalten Produkten, die eigentlich vegan sein könnten, Dinge wie Milchpulver oder Eiklar.

Ann-KathrinFreude: Gerade am Anfang ist es etwas schwierig. Schließlich muss man erstmal lernen, was vegan ist, einem schmeckt und wie man die Gerichte, die man mochte, jetzt anders zubereitet. Mittlerweile ist es aber für mich wie ganz normales Einkaufen.

WANN & WO: Aber unterwegs ist das sicher anders. Bei einem Städte-Trip mal schnell ein Brötchen holen zum Beispiel ist dann nix, oder?

Ann-Kathrin Freude: Inzwischen gibt es wirklich überall Veganes zu finden, in Supermärkten, Restaurants und Bäckereien. Viele Küchen haben eh ein großes pflanzliches Angebot. Will man sichergehen, gibt es spezielle Apps, auf denen man sich vorab informieren kann, wo es besonders gute Restaurants oder Spezielles gibt. So habe ich auf Reisen schon ganz fantastische Orte gefunden, die ich sonst bestimmt übersehen hätte.

WANN & WO: Wie ist es in eurem Umfeld? Wer kriegt mehr dumme Sprüche, die Veganerin oder der Metzger?

Jogi Fleisch: Das kommt drauf an, wo man ist. Ich war gerade in London auf einem Festival. Dort habe ich mich mit zwei Mädels unterhalten und als ich denen erzählte, dass ich Metzger bin, waren sie schockiert – es waren zwei Veganerinnen. (lacht) Der Metzgerberuf hat aber tatsächlich auch ein schlechtes Image. Ich versuche mit meiner Firma, den Beruf ein bisschen zu modernisieren und in ein neues Licht zu rücken. Denn seien wir ehrlich: Die Branche ist komplett im Arsch. Die kleinen Betriebe, die noch gute Sachen und regionale Produkte herstellen, sterben aus. Und die Industrie übernimmt. Da versuche ich, dagegen zu halten. Und das polarisiert. Manchen gefällt’s, manchen nicht.

Ann-Kathrin Freude: Bei mir ist das ähnlich. Wenn ich erzähle, dass ich vegan lebe, finden es die einen total cool, sind neugierig und stellen mir Fragen dazu. Und die anderen meinen, dass ich sicher dutzende Pillen am Tag schlucken muss, um zu überleben. (lacht).

WANN & WO: Werden manche auch richtig ärgerlich?

Ann-Kathrin Freude: Es gibt schon Menschen, die meinen, mich dann herausfordern zu müssen. Wenn ich das Gefühl habe, dass da jemand nur stänkern will, mache ich einen Witz und bin weg. Aber wenn jemand ein echtes, konstruktives Gespräch sucht, dann stelle ich mich dem.

WANN & WO: Wie viel Toleranz habt ihr selbst jeweils für die Gegenseite? Kommt ihr jeweils gut mit Veganern bzw. Fleischessern aus oder stört euch das?

Ann-Kathrin Freude: Ich habe tatsächlich einen sehr guten Freund, der Metzger ist. Wir tauschen uns dann eben nicht über Essen, sondern über Hip-Hop-Konzerte aus. (lacht) Interessanterweise hat der gerade eine vegane Linie herausgebracht. Klar wäre es mir lieber, er wäre selbst Veganer und würde nur die vegane Linie produzieren. Aber mir ist klar, dass jeder an einem anderen Punkt in seinem Leben steht, bestimmte Gewohnheiten hat und dass er geschäftlich auch nicht komplett machen kann, was er will.

Jogi Fleisch: Ich würde von mir auch sagen, dass ich Menschen nicht verurteile. Auf jeden Fall versuche ich, das nicht zu machen.

WANN & WO: Würdest du umgekehrt sagen, dass du manchmal für das Fleischessen verurteilt wirst?

Jogi Fleisch: Nein. Ich versuche aber auch – sowohl privat als auch geschäftlich – niemandem den Daumen aufzudrücken. Ich habe für mich meinen Weg gefunden. Den kann ich vertreten und den möchte ich auch an meine Kundschaft weitergeben. Ich versuche, etwas Gutes vorzuleben und wenn jemand das übernimmt, ist das ein tolles Kompliment an mich. Aber immer zu sagen: Warum machst du nicht das und das, wieso tust du dies – das führt in meinen Augen zu nichts.

WANN & WO: Gerade beim Thema Fleisch vs. Veggie scheint es ja oft nur schwarz oder weiß zu geben und es wird teils erbittert diskutiert. Das ist also nicht eure Sichtweise?

Ann-Kathrin Freude: Ich glaube, dass das manchmal geschürt wird von gewissen Personen und Institutionen. Gerade aus der Landwirtschaftskammer heißt es dann oft in Richtung der Bauern, dass die Tierschützer ihnen das Geschäft zerstören wollen. Aber das ist ja gar nicht der Fall. Wir wissen genauso, dass das System das Problem ist und nicht der kleine Bauer selbst. Und dass dieses System selbst die kleinen Bauern und Metzger zerstört, die für Tiere und Umwelt etwas besser machen möchten und so nur die großen Industriekonzerne profitieren, bei denen der Profit an erster Stelle steht, dem sich alles andere unterzuordnen hat. Und das ist auch genau der Punkt, an dem die Politik einhaken sollte, wo unsere persönlichen Entscheidungen keinen großen Einfluss mehr haben und die Politik die Weichen stellen muss, um dieses ausbeuterische System zu verändern. Ich weiß, nicht jeder wird gleich Veganer. Aber ein paar vegane Produkte oder Rezepte ausprobieren kann jeder.

WANN & WO: Also verfolgt ihr beide – Veganerin und Metzger – praktisch das gleiche Ziel: die Menschen zu bewusstem und vertretbarem Fleischkonsum animieren.

Jogi Fleisch: Da verbindet uns, dass wir beide einen gemeinsamen Gegner haben und dass wir beide bewusst konsumieren. Das Schnitzel kommt nicht einfach so aus dem Kühlschrank. Und auch ich kann ein Rind nicht zu Tode streicheln. Das ist so. Aber dessen muss ich mir eben bewusst sein, wenn ich Fleisch essen will.

<p class="title">Zur Person: Ann-Kathrin Freude</p><p>Alter: 33 Jahre</p><p>Wohnort: Hohenems Ernährungsform und Überzeugung: Ann-Kathrin ist seit gut sieben Jahren Veganerin und war davor jahrelang Vegetarierin. Sie setzt sich persönlich aktiv für den Tierschutz ein.</p>

Zur Person: Ann-Kathrin Freude

Alter: 33 Jahre

Wohnort: Hohenems
Ernährungsform und Überzeugung: Ann-Kathrin ist seit gut sieben Jahren Veganerin und war davor jahrelang Vegetarierin. Sie setzt sich persönlich aktiv für den Tierschutz ein.

<p class="title">Zur Person: Jogi Fleisch</p><p>Alter: 37</p><p>Wohnort: Bezau Ernährungsform: Jogi isst Fleisch, liebt Fleisch und stellt auch selbst Fleisch her. In Bezau betreibt er ein eigenes Geschäft, online erklärt er in Videos die richtige Zubereitung.</p>

Zur Person: Jogi Fleisch

Alter: 37

Wohnort: Bezau
Ernährungsform: Jogi isst Fleisch, liebt Fleisch und stellt auch selbst Fleisch her. In Bezau betreibt er ein eigenes Geschäft, online erklärt er in Videos die richtige Zubereitung.

«Ich liebe Fleisch. Für mich ist ein gutes Stück Fleisch der höchste Genuss. [...] Das Fleisch, dass die Industrie erzeugt, konsumiere ich aber seit Jahren nicht mehr.» Jogi Fleisch, Metzger

«Ich mache keinen Unterschied zwischen einer Katze und einem Huhn. Das heißt, ich esse entweder alle Tiere – oder gar keine.» Ann-Kathrin Freude, Veganerin

«Ich habe meinen Weg für mich gefunden. Den kann ich vertreten und den möchte ich an meine Kunden weitergeben.» Metzger Jogi Fleisch

«Für mich war klar, dass ich vegan werden muss. Obwohl ich Veganer bis dahin viel zu extrem fand.» Veganerin Ann-Kathrin Freude