„In jedem Kind steckt ein Held“

Sonntags-Talk: Autorin Verena Petrasch (42) aus Dornbirn studierte in Wien, lernte bei Stefan Sagmeister in New York und lebt jetzt als erfolgreiche ­Autorin und Mutter in Linz.

WANN & WO: Vom Grafikdesign zum Schriftstellertum, vom Gestalten eines Covers für Lou Reed zum Schreiben von Kinderbüchern – passt sich Ihre Karriere dem persönlichen Lebensweg an, inzwischen sind Sie ja dreifache Mutter?

Verena Petrasch: Für mich war Schreiben immer ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Bereits als Kind verfasste ich unzählige Romananfänge, jedoch fehlte mir damals die Ausdauer, um dran zu bleiben. Dass ich am liebsten für Kinder schreibe, liegt daran, dass das die Welt ist, die ich in mir trage. Die Welt, in der ich mich am wohlsten fühle. Astrid Lindgren sagte einmal: „Und dann schreibe ich so, wie ich mir das Buch wünsche, wenn ich selbst ein Kind wäre. Ich schreibe für das Kind in mir.“ So geht es mir auch. In erster Linie schreibe ich für das kleine Mädchen in mir. Und dieses Mädchen lebt in einer Welt, in der alles möglich ist. Eine Welt ohne Grenzen und Vorurteile, eine idealistische Welt voller Hoffnung und Farben. Ich bin fest davon überzeugt: In jedem Kind steckt ein Held. Jedes Kind hat Flügel und kann damit fliegen. Jedes Kind kann „Großes“ erreichen. Wie schade, dass so vieles von dem, was in unseren Kindern steckt, erstickt wird, weil es den Eltern und dem pädagogischen System oft noch immer nicht gelingt, unseren Kindern auf Augenhöhe zu begegnen.

WANN & WO: Sie sind in Dornbirn aufgewachsen. Wieso haben sie sich entschlossen, in Wien an der Angewandten zu studieren?

Verena Petrasch: Nach 18 Jahren Dornbirn war eine große Stadt wie Wien sehr reizvoll für mich, und die Angewandte zog mich irgendwie magisch an. Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Meine Zeit in Wien an der Angewandten war großartig! Ich habe viel gelernt, experimentiert und beste Freunde fürs Leben gefunden. Wien wurde zu meiner zweiten Heimat. Viele Jahre später bin ich dann aber doch noch in Linz gelandet. Seit drei Jahren lebe ich mit meiner Familie in Linz und habe hier meine dritte Heimat gefunden.

WANN & WO: Ihr grafisches Können brachte Sie auch zu Stefan Sagmeister in sein Studio in New York. Welche Erfahrungen konnten Sie dort sammeln?

Verena Petrasch: Die Zeit in New York bei Stefan Sagmeister bezeichne ich gerne als „Zeit der Narrenfreiheit“. Das Studium lag gerade mal ein halbes Jahr hinter mir, ich war unglaublich motiviert, sog jedes brauchbare Input auf wie ein Schwamm und glaubte, die Welt erobern zu können. Da war New York, diese Stadt der Vielfalt, in der alles möglich scheint, natürlich der ideale Ort für mich, und Stefan mit seinem Team die perfekte Arbeitsumgebung.

WANN & WO: Gerade im gestalterischen Bereich ist aktuell die Künstliche Intelligenz in aller Munde. Welche Auswirkungen hat die Technologie ihrer Meinungen nach auf die Kreativbranche?

Verena Petrasch: Mit dem Ars Electronica Center ist dieses Thema ja mehr oder weniger ganz in meiner Nähe. Mein sechsjähriger Sohn liebt alles, was mit Elektronik, Technologie und Robotern zu tun hat, also verbringe ich recht viel Zeit mit ihm im AEC. Ich lerne bei jedem Besuch etwas Neues und staune. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die die künstliche Intelligenz im kreativen Bereich verteufeln oder gar fürchten. Ich glaube nicht, dass eine AI jemals in der Lage sein wird, einen menschlichen Künstler zu ersetzen. Die AI ist faszinierend, sie kann Dinge, die wir Menschen nicht können (obwohl wir sie selbst programmiert haben), und das auch noch viel schneller und präziser. Dieses kleine bisschen „Unperfekt“, dieses Etwas, das nicht greifbar und schon gar nicht programmierbar ist, das ein Kunstwerk von innen heraus zum Leuchten bringt, kann in meinen Augen niemals durch eine Maschine kreiert werden.

WANN & WO: Inzwischen haben Sie sich verstärkt auf das Schreiben von Kinderbüchern fokussiert. Wie unterscheidet sich das Verfassen von Texten für ein jüngeres Publikum von der Erwachsenenliteratur?

Verena Petrasch: Als ich anfing zu schreiben, machte ich mir keine Gedanken darüber, welche Altersklasse ich mit meinen Büchern ansprechen will. Da war einfach eine Geschichte, die niedergeschrieben werden wollte. Die Geschichte hat sich ihr Zielpublikum selbst gesucht. Und so ist es mit jeder Idee, die ich zu Papier bringe. Es ist das Kind in mir, das mir die Geschichten einflüstert, und offensichtlich liebt dieses Kind Geschichten für ein jüngeres Publikum. Somit denke ich auch nicht groß darüber nach, wie ich schreiben muss, wenn ich für Kinder schreibe.

WANN & WO: Wie wichtig ist die Message, welche Werte wollen Sie Kindern mit ihrer Arbeit vermitteln?

Verena Petrasch: Ich schreibe in der Regel über Themen, die mich so stark beschäftigen oder faszinieren, dass sie in mir eine Art Eigenleben entwickeln. Ich finde es extrem spannend, schreibend zu beobachten, wohin das, was da in mir brodelt, führt. So entstehen meine Geschichten. Weil sie Themen behandeln, die mich in irgendeiner Form stark berühren, steckt natürlich ganz automatisch die eine oder andere Botschaft in meinen Büchern. Aber ich halte nichts davon, den Zeigefinger hochzuhalten und moralisch zu sein.

WANN & WO: Wie gehen Sie als Autorin mit der übermächtig erscheinenden, digitalen Konkurrenz um? Wie bringt man in Zeitalter von TikTok, YouTube, Netflix & Co. Kinder dazu, Bücher zu lesen?

Verena Petrasch: Manchmal könnte man fast das Gefühl haben, die Kinderliteratur würde belächelt und irgendwie geduldet, aber nicht wirklich ernst genommen. An dieser Stelle plädiere ich dringend für mehr Gleichberechtigung und Wertschätzung der Kinderliteratur! Denn wer als Kind nicht liest, wird auch als Erwachsener kein Leser sein. Wer nicht als Kind die Magie der Bücher kennenlernt, wird sie auch als Erwachsener nicht spüren. Kinderbuchautoren tragen in meinen Augen eine große Verantwortung: Sie sind diejenigen, die in Kindern durch ihre Geschichten die Begeisterung für Bücher und fürs Lesen entflammen können. Eine Begeisterung, die für gewöhnlich ein Leben lang anhält, und die auch der omnipräsenten digitalen Konkurrenz trotzen wird. Für einen Menschen, der Bücher liebt, koexistiert das Digitale, stellt aber keine Konkurrenz zum Buch dar.

WANN & WO: Wie gehen Sie als deutschsprachige Autorin mit Gender-Themen um?

Verena Petrasch: Ehrlich gesagt, macht es mich traurig, dass dieses Thema überhaupt ein Thema sein muss. Sollte es nicht die selbstverständlichste Sache der Welt sein, dass jeder so sein kann, wie er will, solange er anderen damit nichts Böses tut?

WANN & WO: Was treibt Verena Petrasch zur Weißglut?

Verena Petrasch: Zur Weißglut treibt mich, wenn Menschen nicht in Verantwortung gehen. Wenn sie in eine passive Opferrolle fallen, statt etwas zu ändern. Das betrifft viele Bereiche des Lebens: Den Klimawandel, die Politik, die Begleitung unserer Kinder, das zwischenmenschliche Miteinander, … Ja, wir leben in einem trägen System, wir tragen alle unsere Rucksäcke, und der Mensch ist von Natur aus ein Gewohnheitstier, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es nicht an den anderen, sondern an jedem einzelnen von uns liegt, etwas zu ändern, etwas besser zu machen. Nicht die anderen müssen damit anfangen, ich muss den ersten Schritt setzen. Vielleicht kann ich keinen großen Schritt setzen, aber wenn jeder sich dazu entschließt, ein bisschen aus seiner Komfortzone herauszukommen und zu tun, was ihm möglich ist, können wir die Welt vielleicht doch noch retten.

WANN & WO: Inzwischen leben Sie mit ihrer Familie in Linz. Welche Verbindungen pflegen Sie nach Vorarlberg, wie groß ist das Heimweh?

Verena Petrasch: Linz ist zum Glück nicht am anderen Ende der Welt. Wenn mich das Heimweh plagt, brauche ich mich nur in den Zug zu setzen, und bin in fünf Stunden in Vorarlberg. Ich habe ein Klimaticket und freue mich, wenn ich es benützen kann. Mein Mann, der gebürtiger Oberösterreicher ist, mag Vorarlberg zum Glück auch sehr gern. Als ich zu ihm nach Linz zog, haben wir vereinbart, dass wir trotzdem weiterhin ausreichend Zeit in Vorarlberg verbringen werden, und beide Orte ein Zuhause für uns sein werden. Aufgrund unserer schul- und kindergartenpflichtigen Kinder ist Linz derzeit zwar schon unser Lebensmittelpunkt, aber je älter die Kinder werden, desto einfacher wird das gemeinsame Reisen, und desto mehr Zeit werden wir auch wieder in Vorarlberg verbringen können. Ich bin noch immer sehr stark durch meine Freunde und meine Familie mit Vorarlberg verbunden. Und natürlich bin ich jedes Mal sehr glücklich, wenn ich eine Lesungsanfrage aus Vorarlberg bekomme. Die Strecke Linz-Vorarlberg-Vorarlberg-Linz fühlt sich für mich sehr gut an, denn egal in welche Richtung ich fahre, ich bewege mich immer in Richtung „Zuhause“.

Bei Stefan Sagmeister in New York arbeitete Verena Petrasch an diesem Cover für Lou Reed.

Bei Stefan Sagmeister in New York arbeitete Verena Petrasch an
diesem Cover für Lou Reed.

Verena PetraschAusbildung, Beruf, Alter: Grafikdesignerin und Schriftstellerin, 42 JahreAufgewachsen in: Dornbirn, Wohnort: LinzFamilienstand: In Partnerschaft lebendMotto, Zitat: „I have a dream.“ (Martin Luther King)www.verenapetrasch.com

Verena Petrasch

Ausbildung, Beruf, Alter: Grafikdesignerin und
Schriftstellerin, 42 Jahre

Aufgewachsen in:
Dornbirn, Wohnort: Linz

Familienstand:
In Partnerschaft lebend

Motto, Zitat: „I have a dream.“ (Martin Luther King)

www.verenapetrasch.com

«Ja, wir leben in einem trägen System, wir tragen alle unsere Rucksäcke, und der Mensch ist von Natur aus ein Gewohnheitstier, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es nicht an den anderen, sondern an jedem einzelnen von uns liegt, etwas zu ändern, etwas besser zu machen. » Autorin Verena Petrasch über den Willen, die Welt zu verändern