„Das Mensch sein teilen“
Sabine* hat ein Händchen für die Menschen. Sie war selbst Berührerin, hat sich für die Sexualbegleitung eingesetzt. W&W hat mit ihr über ihre Arbeit geredet.
W&W: Wie bist du dazu gekommen, als Berührerin zu arbeiten?
Sabine: Eine Freundin von mir ist Sexualpädagogin. Sie hat mir erzählt, dass man dringend etwas gegen die Berührungsarmut von Menschen mit Behinderung tun müsste. Ich habe mich angesprochen gefühlt, weil ich kein Problem mit Nähe habe und ich mich vor diesen Berührungen nicht ekle. Dann habe ich in der Schweiz eine Ausbildung zur Berührerin gemacht und gemerkt, dass ich mit meiner Art den Menschen etwas geben kann.
W&W: Warum brauchen wir Berührer
Innen?
Sabine: In den Institutionen kann Sexualität meist nicht gelebt werden. Das ist frustrierend und führt dazu, dass sich die Menschen selbst verletzen oder Übergriffe untereinander stattfinden. Da herrscht eine riesige Not und ich wusste, dass ich da etwas tun muss. Bei vielen ist kein Verständnis dafür da, dass Menschen mit Behinderung sexuelle Wesen sind und Sexualität erleben wollen. Ich weiß von Eltern, die ihre Söhne unter der Dusche befriedigten, damit dieser Drang weg ist.
W&W: Wie kann man sich die Arbeit als Berührerin vorstellen?
Sabine: Ich habe beim Vorgespräch zuerst geklärt, wo meine Grenzen sind und dass ich keinen Geschlechtsverkehr anbiete. Man kann sich das als Begegnung zwei nackter Körper vorstellen. Bei Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen waren das vor allem Berührungen im Intimbereich, weil sie da oft selber nicht hinkommen. Ich habe auch aufgeklärt. Man durfte mich erkunden und den Körper entdecken. Ich habe ihnen einen Raum gegeben, in dem sie Intimität spüren und leben konnten. Es waren auch Paare bei mir, die wissen wollten, wie man sich gegenseitig befriedigen kann. Wenn Paare körperlich beeinträchtigt sind, brauchen sie oft Hilfestellung wie das Stützen der Körper oder das Überziehen von Kondomen. Ich habe geholfen, miteinander zu sein.
W&W: Wie reagierte dein Umfeld?
Sabine: Unterschiedlich. Ich war vorsichtig, wem ich das erzählte. Viele haben mich in eine Schublade gesteckt, weil sie die Abgrenzung zur Prostitution nicht verstehen. Meine damalige Arbeit wurde mir sogar gekündigt, als rauskam, dass ich als Berührerin arbeitete. Während ich mich verstecken musste, haben mich Menschen gebraucht. Ich habe im Zwiespalt gelebt.
W&W: Deiner Arbeit hat dich erfüllt?
Sabine: Mich hat berührt, wie dankbar die Menschen waren. Jede Begegnung war wunderschön. Da war diese ständige erotische Spannung, welche die Begegnung getragen hat. Den Drang, es schnell zu erledigen oder einen Orgasmus zu erleben, gab es nicht.
WANN & WO: Wie hat sich das auf das Leben der Personen ausgewirkt?
Sabine: Extrem positiv. Besonders von Spastikern wurde mir berichtet, dass sie entspannter waren, Freude verspüren konnten und die Agression gegen sich selbst weggefallen ist. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse dieser Menschen ernst zu nehmen.
*Name geändert aber der Redaktion bekannt