„Habe noch nie so viel Blut gesehen“

Die Tat hält Vorarlberg seit einer Woche in Atem: Am helllichten Tag greifen drei 15-Jährige am Dornbirner Bahnhof einen 32-Jährigen an, stechen mit einem Messer auf ihn ein und verletzen ihn lebensgefährlich. Resul (19) aus Bregenz war Augenzeuge und alarmierte die Rettung. Mit W&W sprach er exklusiv über die unfassbare Tat.
Resul* sieht die Federn durch die Luft fliegen. Wie Schneeflocken tanzen sie über den Platz zwischen der Bahnhofsunterführung und dem Kaplan-Bonetti-Haus. Beinahe sieht es aus, als ob auch der Mann und die drei Jugendlichen einen seltsamen Tanz aufführen würden. Doch dann zieht der Mann seine Jacke aus, sein Oberteil, rennt durch die Unterführung, unter dem 19-Jährigen hindurch, der über ihm auf dem Bahnsteig steht, auf der anderen Seite wieder hinauf – und Resul sieht die Wunden und das Blut auf seinem nackten Rücken. „Das viele, viele Blut“. Es waren keine Schneeflocken, die da tanzten, das weiß Resul jetzt: „Das waren die Daunen aus seiner Jacke, die zerfetzt wurde, als der Jugend-liche auf den Mann einstach.“
Alles beobachtet
Resul war bei dem Überfall von drei 15-Jährigen auf einen 32-Jährigen am Sonntag Bahnhof Dornbirn in nächster Nähe dabei.
„Ich stand während des Angriffs auf dem ersten Bahnsteig, zu dem man gleich zum Busbahnhof gelangt, ohne die Treppe hinunter zu müssen“, beschreibt Resul im Gespräch mit WANN & WO. „Von dort konnte ich durch die Scheibe den Streit und das Handgemenge sehen. Und schließlich auch, wie einer der drei Jugendlichen immer wieder zustach.“
„Den schnappe ich mir!“
Doch nicht nur das hat Resul deutlich gesehen – sondern auch die drei Jungs. „Die waren, wie ich auch, vorher auf der Frühlingsmesse gewesen. Und schon dort hatten sie Stress mit den Securitys angefangen, indem sie sich provokant verhalten hatten. Schließlich wurden sie sogar hinausgeworfen.“
Anschließend waren sie ebenfalls zum Bahnhof gefahren. „Einer der drei stand direkt neben mir am Bahnsteig“, erinnert sich der Bregenzer. „Als er über die Gleise hinweg sah, wie seine beiden Freunde hinter dem Bahnhof Streit mit dem Mann anfingen, murmelte er noch: ‚Den schnappe ich mir‘, und rannte los.“ Zu diesem Zeitpunkt wusste Resul noch nicht, wie die ganze Angelegenheit eskalieren und enden würde. „Um ehrlich zu sein, dachte ich, die kennen sich und das sei ein Spaß, eine kleine Rangelei um sich gegenseitig zu necken. Das praktisch Kinder einen Erwachsenen mit Waffen angreifen, mitten am Tag – an so etwas denkt man ja nicht!“
Angriff und Flucht
Doch genau das tun die drei. Zuerst scheinen sie sich mit dem Mann zu schlagen, beschreibt der 19-Jährige. Als der Angegriffene einem der Jugendlichen den Rücken zudreht, zückt der ein Messer.
„Ich sah genau, wie er etwas in der Hand hielt. Und wie er ausholte und seine Hand in Richtung Hals des Mannes schwang.“ Doch der Hieb geht daneben. „Danach holte er wieder aus und stach auf den Rücken des Mannes ein, immer wieder.“ Vermutlich in Panik scheint der 32-Jährige dann durch die Unterführung in Sicherheit rennen zu wollen – die drei flüchten in die entgegengesetzte Richtung. „Sie rannten nach links, zwischen den Gleisen und dem
Kaplan-Bonetti-Haus entlang.“
Auf dem Bahnhofsvorplatz bricht der Verletzte schließlich zusammen. „Überall war Blut, ich habe noch nie so viel Blut gesehen“, sagt Resul. „Aber noch schlimmer waren die Schreie. Sie gingen durch Mark und Bein. Der Mann schrie um sein Leben.“ Der 19-Jährige denkt nicht, sondern handelt. Er rennt zu dem Mann und noch während er bei ihm ist, hat er schon den Notruf am Ohr. Und er ist nicht der Einzige, der hilft: Ein paar Männer, die regelmäßig am Bahnhof ihre Zeit verbringen, versuchen, mit Jacken und Hemden die Blutungen zu stillen. „Doch die ‚normalen‘ Menschen hingegen standen nur herum und gafften“, ereifert sich Resul.
Unter Schock
Entspannung fällt Resul selbst auch Tage nach dem Vorfall noch immer schwer. „Ich stand den ganzen Tag lang unter Schock. Und auch jetzt habe ich das alles noch nicht komplett verarbeitet“, gesteht der 19-Jährige. Er versuche, sich mit Arbeit und Hobbys abzulenken.
„Aber wenn die Erinnerung dann doch wieder hochkommt, sind auch die Gefühle zurück.“
Noch immer nicht verarbeitet
Die werden ihm wohl auch in der nächsten Zeit noch bleiben, wenn er in Gegenden wie dem Dornbirner Bahnhof unterwegs ist oder Gruppen von Jugendlichen sieht. „Ich merke, dass ich stärker aufpasse. Bisher habe ich mir nichts gedacht, wenn ich eine Gruppe von Teenagern gesehen habe. Aber offensichtlich muss man heutzutage schon vor Minder-jährigen Angst haben, und das auch noch am hellichten Tag. Dass so etwas hier in Vorarlberg passiert, hätte ich niemals gedacht“, erklärt Resul. Der Vorfall werde ihm noch lange in den Gedanken herum-spuken, vermutet er. „Und ganz besonders die Schreie des Mannes. Diese Schreie werde ich nie vergessen können.“
*Um Resul zu schützen nennen wir nicht seinen vollen Namen.

Auf diesem Platz am Hinterausgang des Bahnhofs
ereignete sich der Angriff.

Auf den Treppenstufen in der Unterführung finden sich noch immer Blutspritzer.