„Maske baut Hemmungen ab“

Sie tragen Hundemasken, kuscheln zusammen, nehmen sich an die Leine, üben Kommandos und das Apportieren: In Dornbirn trifft sich regelmäßig eine Gruppe zum „Human Pupplay“. WANN & WO war dabei.

Sammys und Peas Augen leuchten. Gerade haben sie entdeckt, was alle Hunde lieben: einen Ball. Freudig flitzen sie über den Boden, jagen dem roten Ball hinterher, spielen sich ihn zu, rennen hintereinander her, springen sich in den Weg und bellen dabei. Außergewöhnlich ist alles an der Szenerie. Denn Sammy und Pea sind keine Hunde. Sondern Menschen. Anhänger des „Human Pupplay“, des „menschlichen
Hundespielens“. Was sie zu Hunden macht, sind ihre Masken – und ihr Hang dazu, sich wie ein Hund zu fühlen und zu verhalten.

Nähe erleben und Kind sein

„Viele halten uns ‚Puppys‘ für diese seltsamen Schwulen mit den schrägen Masken“, beschreibt Flo aus Dornbirn. „Aber es ist mehr als das. Es geht hier vorrangig darum, Nähe zu spüren und zu genießen – für viele auch zum ersten Mal überhaupt.“ Denn die Szene besteht fast gänzlich aus Mitgliedern der LGBTQIA+-Community. „Für viele bedeutet das negative Erlebnisse in der Vergangenheit“, erklärt Flo. „Sei es, dass sie ihre Sexualität lange nicht ausleben konnten oder immer noch nicht können, dass sie sie vor Familie und Freunden geheim halten mussten oder
müssen oder dass sie sich das Ausleben selbst nicht oder noch nicht erlauben – so oder so, für sie geht die Sexualität mit einigen Belastungen und Hemmungen einher. Und die können durch das Tragen einer Maske abgebaut werden. Die Maske schafft Distanz.“ Viele hätten auch eine dunkle Kindheit erlebt und nie richtig Kind sein dürfen. „Das holen sie heute mit den Masken nach“, sagt Flo, „in einem ‚safe space‘, in dem sie das auch können, ohne dafür kritisiert oder schräg angeschaut zu werden.“

Nur eine Regel

Während Flo all das erläutert, sucht „Pea“ seine Nähe: Der Hund mit der auffälligen, rot-gelb-blau-gemusterten Maske reibt seinen Kopf an Flos Oberschenkel, bis dieser ihn am Kopf und hinter den Ohren krault – da, wo Hunde es eben mögen. „Jeder kann das ‚Pupplay‘ ausleben, wie er möchte. Es gibt nur eine Regel: Zwinge niemandem etwas auf, das er nicht möchte“, erläutert der 23-Jährige.

Für die Gruppe, die sich regelmäßig in der Dornbirner Wohnung eines der Mitglieder trifft, bedeutet das: nichts Sexuelles. „Ja, es gibt Menschen, für die das ‚Puppy-sein‘ etwas Sexuelles ist.“ Bei der Gruppe aus insgesamt 22 Vorarlbergern, Deutschen, Schweizern und Liechtensteinern sei das aber nicht der Fall. „So viel Platz hätten wir hier in dieser kleinen Wohnung auch gar nicht – und niemand würde hinterher sauber machen wollen“, setzt er hinzu und alle lachen. Das „Puppy“-Treffen ist zuletzt eben auch einfach ein Treffen vieler junger Männer, da darf der Humor auch mal zotig sein. „Wenn lauter Schwule aufeinander treffen wird er das sowieso immer“, meint „Asmodeus“ zwinkernd.

Mal dem Ernst des Alltags entfliehen, das ist es, was für viele das „Puppy-sein“ ausmacht. Oder wie Flo es ausdrückt: „Ein ‚Puppy‘
denkt nicht daran, dass er ja noch die Steuererklärung machen muss oder dass demnächst wieder ein Termin in der Autowerkstatt ansteht.“ „Blue“ und
„Sammy“ haben unterdessen „Pea“ geschnappt und kitzeln ihn durch. Ein Werkstatt-Termin ist offenbar wirklich das Letzte, was einem von ihnen gerade durch den Kopf geht.

„Hinter jeder Maske steckt ein Mensch“

Doch so offen Flo auch redet, es war nicht immer leicht für ihn. „Meine erste Maske habe ich damals in eine Packstation bestellt, statt nach Hause, weil ich so Angst hatte, dass jemand etwas mitbekommen könnte. Mittlerweile habe ich sie aber offen bei mir daheim stehen – auch wenn meine Mutter zu Besuch kommt“, erzählt der Dornbirner. „Anfangs hat sie zwar schon irritiert geschaut, aber
mittlerweile sieht sie, wie viel mir das ‚Pupplay‘ gibt und wie viel besser es mir damit geht.“ Die anfänglichen Berührungsängste, die viele mit dem Thema haben, kann er verstehen. „Für viele ist das etwas völlig Fremdes und Undenkbares, klar“, sagt Flo. „Aber man darf nie vergessen, dass hinter jeder Maske ein Mensch steckt. Der einfach nur glücklich sein und eine gute Zeit haben will. Und den Hass und Ablehnung genauso treffen, wie jeden anderen auch.“

„Bleiiib … – Prima!“

„Sammy“ und „Pea“ üben unterdessen Kommandos. „Bleiiib“, be-fiehlt Flo gedehnt, ganz wie es wohl jeder Hundehalter kennt, und legt einen Bonbon auf ihre Masken-Nasen. Die beiden „Puppys“ halten still und balancieren das Leckerli. „Prima“, ruft Flo freudig, nimmt die Bonbons zurück, wickelt sie aus und steckt sie ihnen in den Mund. So ganz wie bei echten Hunden ist es dann doch nicht.

<p class="title">„Puppys“ erstmals auf der Pride in Bregenz</p><p>So wie praktisch jede Strömung in der LGBTQIA+-Community hat auch die „Puppy“-Bewegung eine eigene Flagge. Sie setzt sich aus der schwarz-weiß-blauen Flagge der Leather-Pride-Bewegung und einem roten Knochen zusammen. In diesem Jahr werden die „Puppys“ rund um Flo und die anderen erstmals auf der Pride-Parade in Bregenz am Samstag, den 3. Juni, mitlaufen. Das Pride-Wochenende findet vom Freitag, 2. Juni, bis Sonntag, 4. Juni statt. Weitere Infos unter www.csd-vlbg.at. Wer mit den„Puppys“ aus Dornbirn Kontakt aufnehmen will, kann das über die Insta-Seite von „Asmodeus“ tun: @pup_asmodeus.</p>

„Puppys“ erstmals auf der Pride in Bregenz

So wie praktisch jede Strömung in der LGBTQIA+-Community hat auch die „Puppy“-Bewegung eine eigene Flagge. Sie setzt sich aus der schwarz-weiß-blauen Flagge der Leather-Pride-Bewegung und einem roten Knochen zusammen. In diesem Jahr werden die „Puppys“ rund um Flo und die anderen erstmals auf der Pride-Parade in Bregenz am Samstag, den 3. Juni, mitlaufen. Das Pride-Wochenende findet vom Freitag, 2. Juni, bis Sonntag, 4. Juni statt. Weitere Infos unter www.csd-vlbg.at. Wer mit den
„Puppys“ aus Dornbirn Kontakt aufnehmen will, kann das über die Insta-Seite von „Asmodeus“ tun: @pup_asmodeus.

<p class="caption">Wann kommt man schließlich nochmal dazu: Redakteurin Anja probierte bei ihrem Besuch bei den „Puppys“ auch eine Maske aus.</p>

Wann kommt man schließlich nochmal dazu: Redakteurin Anja probierte bei ihrem Besuch bei den „Puppys“ auch eine Maske aus.

<p class="caption">So viel Nähe wäre für „Pea“ ohneMaske nur schwer vorstellbar.</p>

So viel Nähe wäre für „Pea“ ohne
Maske nur schwer vorstellbar.

<p class="title">„Zur Ruhe kommen“</p><p>Ich bin seit zwei Jahren in der „Pupplay“-Community. Für mich ist das „Puppy-sein“ eine Möglichkeit, jemand anders zu sein, zur Ruhe zu kommen und einmal von meinem alltäglichen Leben abzuschalten. Anfangs habe ich dabei noch gar keine Treffen besucht, weil es in meiner Heimatgegend auch keine gab. Damals kuschelte ich mich einfach mit der Maske auf dem Sofa ein und schaute einen Film. Allein das beruhigte mich schon sehr. „Blue“</p>

„Zur Ruhe kommen“

Ich bin seit zwei Jahren in der „Pupplay“-Community. Für mich ist das „Puppy-sein“ eine Möglichkeit, jemand anders zu sein, zur Ruhe zu kommen und einmal von meinem alltäglichen Leben abzuschalten. Anfangs habe ich dabei noch gar keine Treffen besucht, weil es in meiner Heimatgegend auch keine gab. Damals kuschelte ich mich einfach mit der Maske auf dem Sofa ein und schaute einen Film. Allein das beruhigte mich schon sehr. „Blue“

<p class="title">„Gefühl von Gemeinschaft“</p><p>Für mich ist beim „Puppy“ sein nicht nur das Abschalten wichtig, sondern ganz besonders auch das Vernetzen mit anderen und das Gefühl von Gemeinschaft, von Community. Ich ziehe für mich selbst sehr viel daraus und habe in dem Jahr, das ich jetzt dabei bin, viele tolle Menschen kennenlernen dürfen. „Asmodeus“</p>

„Gefühl von Gemeinschaft“

Für mich ist beim „Puppy“ sein nicht nur das Abschalten wichtig, sondern ganz besonders auch das Vernetzen mit anderen und das Gefühl von Gemeinschaft, von Community. Ich ziehe für mich selbst sehr viel daraus und habe in dem Jahr, das ich jetzt dabei bin, viele tolle Menschen kennenlernen dürfen. „Asmodeus“

<p class="title">„Fester Alltag“</p><p>Mit keiner anderen Aktivität komme ich nach dem stressigen Arbeits-Alltag so gut zur Ruhe wie mit dem „Pupplay“. Dementsprechend gehört es auch zu meinem festen Alltag. Ich setze meine Maske regelmäßig auf, nicht nur zu den Stammtischen alle paar Wochen. Ich genieße, mich wieder wie ein Kind zu fühlen und verhalten zu dürfen. „Sammy“</p>

„Fester Alltag“

Mit keiner anderen Aktivität komme ich nach dem stressigen Arbeits-Alltag so gut zur Ruhe wie mit dem „Pupplay“. Dementsprechend gehört es auch zu meinem festen Alltag. Ich setze meine Maske regelmäßig auf, nicht nur zu den Stammtischen alle paar Wochen. Ich genieße, mich wieder wie ein Kind zu fühlen und verhalten zu dürfen. „Sammy“

<p class="title">„Wie Therapie“</p><p>Ich bin noch recht neu beim „Pupplay“, erst seit einem dreiviertel Jahr. Interessiert habe ich mich aber schon länger dafür. Ein ehemaliger Partner von mir interessierte sich nicht dafür und auch in der darauffolgenden Beziehung zu dritt war nur einer offen dafür. Für mich steht das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, im Vordergrund. Ich habe Probleme, auf andere Menschen zuzugehen und finde schlecht Anschluss. Mit der Maske auf dem Gesicht ist das anders. Das ist ein bisschen wie Therapie. „Pea“</p>

„Wie Therapie“

Ich bin noch recht neu beim „Pupplay“, erst seit einem dreiviertel Jahr. Interessiert habe ich mich aber schon länger dafür. Ein ehemaliger Partner von mir interessierte sich nicht dafür und auch in der darauffolgenden Beziehung zu dritt war nur einer offen dafür. Für mich steht das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, im Vordergrund. Ich habe Probleme, auf andere Menschen zuzugehen und finde schlecht Anschluss. Mit der Maske auf dem Gesicht ist das anders. Das ist ein bisschen wie Therapie. „Pea“

<p class="title">„Sein, wie ich bin“</p><p>Als ich das erste Mal eine Maske aufsetzte, wusste ich gleich: Das ist es, das bin ich. Mein erstes Treffen musste ich aber lange herbeisehnen, da es noch keinen solchen „safe space“ wie hier gab. Umso glücklicher bin ich darüber, diese Gruppe gefunden zu haben und sein zu können, wie ich bin. „Fletcher“</p>

„Sein, wie ich bin“

Als ich das erste Mal eine Maske aufsetzte, wusste ich gleich: Das ist es, das bin ich. Mein erstes Treffen musste ich aber lange herbeisehnen, da es noch keinen solchen „safe space“ wie hier gab. Umso glücklicher bin ich darüber, diese Gruppe gefunden zu haben und sein zu können, wie ich bin. „Fletcher“

<p class="title">„Pupplay“ – das versteckt sich hinter der Puppy-Szene</p><p>Der Begriff „Pupplay“ stammt aus dem Englischen und kann in etwa mit „menschlichem Hundespielen“ übersetzt werden. Dabei verkleiden sich die Anhänger der Szene mithilfe von Masken als Hunde und nehmen entsprechend die Rolle von Welpen ein – das heißt, sie ahmen das Verhalten der Tiere, beispielsweise apportieren, an der Leine gehen oder aus einem Napf fressen, nach. „Pupplay“ wird oft in sexuellem Kontext verwendet, etwa als Vorspiel. Vieleverbinden damit aber nichts Sexuelles, sondern einen Lebensstil und eine Möglichkeit, sie selbst zu sein. Symbolfoto: AFP</p>

„Pupplay“ – das versteckt sich hinter der Puppy-Szene

Der Begriff „Pupplay“ stammt aus dem Englischen und kann in etwa mit „menschlichem Hundespielen“ übersetzt werden. Dabei verkleiden sich die Anhänger der Szene mithilfe von Masken als Hunde und nehmen entsprechend die Rolle von Welpen ein – das heißt, sie ahmen das Verhalten der Tiere, beispielsweise apportieren, an der Leine gehen oder aus einem Napf fressen, nach. „Pupplay“ wird oft in sexuellem Kontext verwendet, etwa als Vorspiel. Viele
verbinden damit aber nichts Sexuelles, sondern einen Lebensstil und eine Möglichkeit, sie selbst zu sein. Symbolfoto: AFP

«Viele halten uns ‚Puppys‘ für diese seltsamen Schwulen mit den schrägen Masken. Aber so ist es nicht.» Flo (23) alias „Fletcher“