Was passiert, wenn ein Mann ein Kleid trägt?

Nachher: ­Raffael in einem ­schwarzen Kleid.
Nachher: ­Raffael in einem ­schwarzen Kleid.

Zuspruch, schräge Blicke und klare Abneigung. Zwei Stunden in der Dornbirner Innenstadt haben gereicht, um ein breites Spektrum an Reaktionen auszulösen. Mein Erfahrungsbericht.

Jetzt stehe ich also tatsächlich in einem Kleid vor dem Spiegel. „Was habe ich mir dabei bloß wieder gedacht“, frage ich mich, ein bisschen nervös, was mich wohl in den nächsten Stunden erwarten würde. Sieht ungewohnt aus und fühlt sich ein bisschen komisch an, aber was soll‘s, schauen wir mal, was passiert. Unsicher gehe ich auf die Straßen der Dornbirner Innenstadt.

Nur für Frauen?

An einem heißen Tag auf dem Weg zur Arbeit dachte ich mir ganz verschwitzt „ein Kleid wäre jetzt fein“. Kurze Hose und T-Shirt sind zwar als Sommer-Outfit ganz in Ordnung, aber irgendwann klebt alles ein bisschen an mir. Ein Kleid dagegen habe ich mir etwas luftiger vorgestellt, gerade auch, was die Beinfreiheit betrifft … Naja, den Gedanken daran habe ich aber schnell wieder verworfen. Schließlich bin ich ja keine Frau, was immerhin Grundvoraussetzung für das Tragen eines Kleids ist.

Aber Moment mal, wer sagt das eigentlich? Wieso sollten Männer keine Kleider anziehen können? Lange war es doch auch so, dass Hosen als „nicht weiblich“ galten und heute ist es nichts Besonderes mehr. Und so kam mein Entschluss, es einfach mal auszuprobieren, in einem Kleid unterwegs zu sein und zu schauen, wie die Leute ­reagieren.

Anprobe

Es ist Montagnachmittag, ich mache mich auf den Weg. Als Erstes muss ich noch ein passendes Kleid finden. Schlicht soll es sein, nichts allzu Aufregendes. Im ersten Geschäft werde ich nicht fündig, weiter ins nächste. Hier finde ich zwei, die meinem Stil einigermaßen entsprechen. Schwarz, keine Rüschen. Ich rate die Größe, mit Damengrößen kenne ich mich nicht aus. Ich tue mir schon bei Herrengrößen schwer, die richtige zu finden, wenn kein M draufsteht.

Ich probiere das erste an, der Ausschnitt geht fast bis zum Bauchnabel. Nein, dieses Dekolleté kann ich nicht ausfüllen. Das zweite, ein Cocktailkleid, passt besser. Gut genug für meine Bedürfnisse. Ich frage die Geschäftsleiterin, ob ich es mir für diese Geschichte ausleihen darf. Nach einem kurzen Telefonat bekommt sie das „Okay“ vom Chef, er wolle aber nicht, das ich das Geschäft erwähne. Ein erstes Indiz dafür, dass nicht alle, auf die ich treffen werde, ganz und gar offen für einen Mann im Kleid sein werden.

Cafébesuch

Ich verlasse also das Geschäft. Es regnet. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich beschließe, nachdem ich die erste Hürde geschafft habe, auf einen Kaffee inklusive Nerven-Tschick zu gehen. Mir fallen schon die ersten schiefen Blicke auf. Vielleicht bilde ich sie mir auch nur ein, weil ich sie erwarte. Weiter zum Café. Der Cappuccino kommt, die Zigarette brennt und ich beobachte die Menschen rundherum. Soweit alles gut, noch hat mich niemand beschimpft oder sich von mir weggesessen. Bis auf ein paar flüchtige Blicke scheint sich niemand für mich zu interessieren. In einer Ecke weiter hinten fangen ein paar Mittvierziger an zu lachen, manche schauen zu mir her. Ob das Lachen mir gilt, kann ich nicht sagen, es fühlt sich aber ein ­bisschen so an.

Ich muss aufs Klo. Ich gehe rein und spüre ganz eindeutig, dass mich jetzt viele Augen anglotzen. Aber es sagt niemand was. In der Toilette finde ich eine Geldtasche, die ich natürlich gleich dem Personal bringe. Man bedankt sich, aber fragt sicherheitshalber nach: „Herrentoilette?“ Ja, Herrentoilette. Wie gesagt, ich habe nur als heterosexueller cis-Mann ein Kleid an. Der Regen hat aufgehört, die Nerven sind beruhigt, es wird Zeit, weiterzumachen.

„Hast du den gesehen?“

Ich spaziere durch die Innenstadt und halte weiter Ausschau, ob und wie die Menschen reagieren. Viele sehen mich gar nicht, manche versuchen, nicht zu schauen. Manche schauen kurz und gehen weiter. Und manche schauen lange, sehr lange. Und schauen immer noch, zum Teil schon fast erschrocken. Ich gehe davon aus, dass es dem Kleid und nicht meiner angsteinflößenden Erscheinung geschuldet ist und möchte ihnen sagen „Ruhig, es ist nur Stoff!“, lasse es dann aber doch bleiben. Bemerkenswert war aber die Dame in der Bäckerei. Sie war auch eine der Erschrockenen. So erschrocken, dass sie mich ihrer Freundin herzeigen musste, nach dem Motto „Hast du den gesehen?“

Zuspruch

Neben den schiefen Blicken zwischendurch, die ich durchaus erwartet habe, bekomme ich aber auch viele positive Rückmeldungen. Etwa von Zoë, die es gut findet, dass vermeintlich festgefahrene Strukturen, was Geschlechterrollen angeht, langsam aufbrechen. Oder von Éric aus Paris, den ich auch angesprochen hatte, weil er mich dem Gefühl nach eher misstrauisch beäugte. Aber es stellt sich heraus: Er findet mich „Très joli!“ Ob er es komisch fände, mich in einem Kleid zu sehen? „Pas de tout!“

Schwuchtel!

„Wie nett war der denn? Sehr süß!“, freue ich mich und will gerade das Kleid zurückbringen, da schauen mich zwei Jungs – 15, höchstens – sehr verdächtig an. Es folgt unser Dialog:

Ich: Wieso schaust du so?

Junge: Schwuchtel!

Ich: Es ist nur ein Kleid!

Junge: Das haben aber nur Frauen an.

Ich: Männer können also keine Kleider tragen?

Junge: Nein. Einfach schwul!

„Aha“, denk ich mir, „da haben wir sie also doch noch, die direkte, ehrliche Konfrontation“. Ungefiltert. Ein Mann muss also schwul sein, wenn er ein Kleid anhat und auch dann ist es nicht in Ordnung, zumindest nicht für diese beiden Jungs. Soviel dazu, dass das ein Generationending ist. Es gibt einfach immer noch in vielen Köpfen gewisse Rollen und Attribute, die mit diesen Rollen einhergehen.

Mode ändert sich

Ich bringe das Kleid zurück. Mittlerweile bin ich selbstbewusster darin. Trotzdem ziehe ich mich um und fühle mich gleich wohler. Ich weiß, dass ich jetzt nicht mehr wegen meiner Kleidung angegafft werde. Und denke voller Respekt an jene, die nicht als cis-Frauen gelesen werden, aber trotzdem Kleider oder Röcke tragen, weil es ihnen gefällt. Für mich waren es zwei Stunden. Um es mal probiert zu haben. Für andere ist es normal, inklusive der abfälligen Blicke. Dabei ist es nur Kleidung. Und Kleidung ist Mode. Und Mode verändert sich. Nur eben schneller, als manche Ansichten.

Vorher: Raffael in seiner üblichen Alltagskleidung.
Vorher: Raffael in seiner üblichen Alltagskleidung.
„Mir ist es relativ egal, wer sich wie anzieht. Ich habe kein Problem damit, wenn Männer Kleider tragen. Selbst würde ich es aber aus Komfortgründen nicht wollen.“Florian, 46 Jahre

„Mir ist es relativ egal, wer sich wie anzieht. Ich habe kein Problem damit, wenn Männer Kleider tragen. Selbst würde ich es aber aus Komfortgründen nicht wollen.“

Florian, 46 Jahre

„An Kindern sieht man gut, dass die Art, wie man sich anzieht, von den Älteren geprägt wird. Aber ich finde es gut, dass diese Strukturen immer mehr aufbrechen.“Zoë, 38 Jahre

„An Kindern sieht man gut, dass die Art, wie man sich anzieht, von den Älteren geprägt wird. Aber ich finde es gut, dass diese Strukturen immer mehr aufbrechen.“

Zoë, 38 Jahre

„Uns sind ehrlicherweise die Schuhe mehr aufgefallen, als das Kleid. Das wäre für uns nichts Besonderes gewesen, wenn du nicht danach gefragt hättest.“Pia und Valentina, 16 Jahre

„Uns sind ehrlicherweise die Schuhe mehr aufgefallen, als das Kleid. Das wäre für uns nichts Besonderes gewesen, wenn du nicht danach gefragt hättest.“

Pia und Valentina, 16 Jahre

„Es stört mich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Ich finde das Kleid steht dir sehr gut. Wenn Menschen ein ­Problem damit haben, liegt das am alten Weltbild.“Éric, 60 Jahre

„Es stört mich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Ich finde das Kleid steht dir sehr gut. Wenn Menschen ein ­Problem damit haben, liegt das am alten Weltbild.“

Éric, 60 Jahre